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Schiedsrichter-Problem?

Vermutlich jeder Eishockey-Fan kennt es: Ein Spieler des Lieblingsteams muss mal wieder auf die Strafbank und die ganze Halle beschwert sich lauthals über die Schiedsrichter, weil der Spieler doch gar nichts falsch gemacht hat. Dann wird auch noch ein vermeintliches Tor mit Videobeweis überprüft und schließlich nicht gegeben, obwohl der Puck doch ganz klar im Tor war! Oder vielleicht doch nicht?

Ist der Fan objektiv?

Durch die Fanbrille und gerade vor Ort in den Arenen und Eishallen ist das oft nicht leicht zu bewerten, und nicht selten verleiten die wütenden Rufe der anderen Fans einen dazu, an die Ungerechtigkeit zu glauben, obwohl man selbst die entscheidende Szene vielleicht gar nicht so richtig mitbekommen hat. Ich nehme mich da nicht raus und stehe dazu, dass ich nach so manchem Spiel ordentlich Frust getankt hatte und auch schon mal den Schiedsrichtern die Schuld an einer Niederlage meines Lieblingsteams gegeben habe, auch wenn ich meistens versuche, so objektiv wie möglich zu bleiben. Trotzdem hatte ich im Laufe der vergangenen Saison das Gefühl, dass die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter zugenommen haben – nicht nur die vermeintlichen aus Fan-Sicht, sondern auch die, die objektiv von allen Seiten tatsächlich als Fehlentscheidungen bewertet wurden und das zum (kleinsten) Teil sogar von der DEL selbst, inklusive der Bitte um Entschuldigung. Letzteres passierte nach dem fälschlich gegebenen Tor für Iserlohn im Spiel der Roosters gegen Bremerhaven am 06.01.2023. (Anm. Sharkbite: Wir sprachen in Folge 38 oder 39 darüber) Iserlohn gewann dieses Spiel mit einem Tor Unterschied; man kann hier also durchaus von einem potenziell spielentscheidenden Ereignis sprechen. Während diese die einzige Situation der letzten Saison war, die eine offizielle Entschuldigung, ja überhaupt ein konkretes Statement der Liga nach sich zog, war es bei weitem nicht die einzige, die vielen Fans als mindestens „fragwürdig“ in Erinnerung geblieben ist. Und ich spreche hier nicht von Kleinigkeiten wie einer sehr streng ausgelegten kleinen Strafe (wobei auch die, bei Häufung, ein Geschmäckle entwickeln können), sondern von Situationen, die einen Videobeweis involvierten und trotzdem nicht korrekt gelöst wurden, zumindest aus Sicht des objektiven Betrachters – zum Teil sogar von den TV-Kommentatoren.

Auslegungssache

Es mag an meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn liegen, aber ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass so manche Entscheidung mich dermaßen verärgert hat, dass ich zwischenzeitlich den Spaß am Zuschauen verloren habe – für mich der absolute „Worst Case“ als Fan. In solchen Momenten fragt man sich nach Sinn und Zweck des Videobeweises, wenn eindeutige Situationen selbst nach Minuten der Auswertung falsch bewertet werden. Oder auch, wenn eben nicht eindeutige Situationen bewertet werden, ohne dass die Entscheidung hinreichend belegt werden kann. Wilde, nicht nachvollziehbare Erklärungen lassen mich dann sämtliche Regeln hinterfragen. Wozu eine Regel, wenn am Ende doch die individuelle Interpretation des Schiedsrichters zählt? Dass manche Situationen zu einem gewissen Grad ausgelegt werden müssen, weil sie nicht eindeutig sind, ist klar. Und dass man es dabei niemals allen recht machen kann, ist ebenfalls klar. Was ich hier in der DEL aber stark vermisse, ist zum einen eine klare Linie bei der Auslegung, die für alle Schiedsrichter gilt, und zum anderen angemessene Kommunikation während und nach solchen Szenen. Es findet keinerlei öffentlicher Dialog zwischen Liga und Fans oder Spielern/Trainern statt. Die Entscheidungen der Unparteiischen sind absolut und müssen hingenommen werden, und wenn die Beweislage noch so eindeutig für etwas anderes spricht. Die oben genannte offizielle Entschuldigung der Liga im Januar war die absolute Ausnahme und eins der ersten offenen Statements der Liga-Geschichte zu einem Schiedsrichter-Fehler.

No Ref, no Game

Mir ist bewusst, dass Schiedsrichter auch nur Menschen sind, und Menschen sind nun einmal fehlbar. Ich habe großen Respekt vor der Leistung, die sie bringen, und weiß, dass es ohne sie unseren schönen Sport gar nicht geben könnte. Es ist auch gut, dass die Liga zu ihren Schiedsrichtern steht, denn diesen Support brauchen sie, um dem großen Druck standzuhalten. Aber wenn sie wirklich 100% hinter ihren Schiedsrichtern steht, dann muss die DEL genauso auch zu deren Fehlern stehen, und zwar zu allen. Liga und Schiedsrichter selbst haben in einem weiteren Post wenige Tage nach dem Iserlohn-Spiel darum gebeten, diese Fehlbarkeit zu berücksichtigen und Verständnis zu haben, gleichzeitig wird aber maximal einer von 100 Fehlern überhaupt offiziell anerkannt. Also: Schiedsrichter sind fehlbar, aber offiziell dann doch nicht? Ich denke, jeder Fan kann über die ein oder andere (vermeintliche oder echte) Fehlentscheidung hinwegsehen. Wenn sich diese aber derart häufen wie in der letzten Saison, dann zerstört das Vertrauen: Vertrauen in die Regeln, Vertrauen in die Gerechtigkeit, Vertrauen in die Unparteiischen. Wenn es mir als Fan schon so geht, dass ich vor dem Spiel allein anhand der Namen der beteiligten Schiedsrichter eine Prognose über Sieg oder Niederlage treffe, dann will ich ehrlich gesagt nicht wissen, wie es den Spielern mit wiederholten Fehlentscheidungen geht und was dieser Frust mit ihnen macht. Sicherlich führt er nicht dazu, dass sie sich auf dem Eis besser benehmen.

Schiedsrichter-Problem!

Ich lege meine Fanbrille ab und sage abschließend: Ja, die DEL hat ein Schiedsrichter-Problem. Aber eines, das lösbar ist, ohne gleich den ganzen Staff auszutauschen. Und Probleme, die mehr als eine Person betreffen, löst man am besten, wenn man darüber spricht – genau das passiert aber hier nicht. Spieler und Trainer verpflichten sich, öffentlich zu solchen Situationen zu schweigen. Tun sie das nicht, müssen sie mit teils hohen Strafen rechnen. Fans können nur vor Ort in der Arena ihren Frust herausschreien oder auf Social Media Kommentare dazu verfassen, vielleicht sogar Briefe direkt an die DEL schreiben, aber es kommt keinerlei Reaktion zurück, nicht mal auf die sachlich formulierten Beiträge. Verbesserung kann aber nur stattfinden, wenn man einsieht, dass es etwas zu verbessern gibt, Fehler aufarbeitet und daraus lernt.

Ja, liebe DEL, wir haben ein Problem. Lasst uns darüber sprechen.

 

Ein Gastbeitrag von Verena Bach, zuerst erschienen beim Eisblog

Foto Header und Artikel: Alexandra Bonk

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